Chrissie ist ein Vamp.
Ihr fliegen die Männerherzen nur so zu.
Dafür muss sie nicht viel tun, die Natur hat sie mit ihren feuerroten Locken und der weiblichen Rubensfigur reichlich beschenkt.
Die Kombination aus diesen körperlichen Vorteilen und ihrem unglaublichen Selbstbewusstsein lässt die Männer nach ihrer Pfeife tanzen.
Auf eine Beziehung hat sie keine Lust.
Doch dann tritt ein Mann in ihr Leben, der ein klein wenig anders ist als all die anderen vorher.
Überlegt Chrissie es sich doch noch anders?
„Beinah verführt“ erzählt eine kurze Sequenz aus dem Leben Chrissies, welche im Roman „Der tollste Mann der Welt“ die Hauptprotagonistin ist. Dieser Roman erscheint vorrausssichtlich im Dezember 2017.
Ich schnappte einem Typen mit Nobelkarosse den von ihm angepeilten Parkplatz weg, indem ich mit einem Satz ruckartig nach vorne fuhr. Der Mann musste scharf abbremsen, um nicht in mein Autochen zu krachen. Er schüttelte seinen zornesroten Kopf und gestikulierte wild herum. Ich warf ihm einen Luftkuss zu und lächelte mein bezauberndstes Lächeln, was ich gerade auf Lager hatte. Der Mann starrte mich mit offenem Mund an. Das beeindruckte mich gar nicht. Dass Männer so auf mich reagieren, bin ich gewohnt. »Chrissie, du bist die Dreistigkeit in Person!« Sunny schüttelte den Kopf und schämte sich angemessen für mich. Sie ist nicht nur meine beste Freundin, sondern auch mein schlechtes Gewissen. »Ich find’s cool«, sagte ihre jüngere Schwester Helen und schnallte sich ab. »Mir ist schlecht«, jammerte ihre noch jüngere Schwester Anna. Dass die Dahlke-Schwestern im Sommer 2014 in meinem Autochen saßen, lag daran, dass ich sie zum Erpenicher Bahnhof fuhr. Die drei Mädels hatten sich diesen Urlaub an der Ostsee mehr als nur verdient. Der Typ mit seinem Auto war mir herzlich egal. »Auf welches Gleis müsst ihr?«, fragte ich und schaltete den Motor ab. »Gleis zwei. Richtung Köln«, gab Sunny mir zur Antwort. Wir stiegen aus und hievten gerade das Gepäck aus dem Kofferraum, als Helen sagte: »Chrissie, ich glaube der steht auf dich.« Ich stellte den Koffer, den ich gerade in der Hand hielt, ab und drehte mich herum. Der um seinen Parkplatz betrogene Mann saß immer noch hinter dem Steuer seines Autos und starrte mich an. »Ach, wirklich?«, sagte ich und ging auf das fremde Auto zu. »Das glaube ich jetzt nicht!« Sunny drehte sich weg. Schrecklich, wie anständig sie immer sein musste. Ich klopfte an die Scheibe der Fahrerseite und der Mann fuhr das Fenster herunter, ohne mich aus den Augen zu lassen. Aus seinen veilchenblauen Augen, die, wie ich zugeben musste, mir auf Anhieb gefielen. Aber wer wäre ich denn, mir das anmerken zu lassen? »Hallo«, sagte ich und beugte mich lasziv zu ihm herunter. »Hallo«, krächzte er. »Vielen Dank, dass Sie mir den Parkplatz überlassen haben.« Er fummelte hektisch an seinem Kragen herum. »War doch selbstverständlich.« »Oh, so selbstverständlich ist das nicht. Ich dachte, wenn Sie so ein Kavalier sind, würden Sie uns doch sicher helfen, unser Gepäck zu Gleis zwei zu tragen?« »Sicher, sicher, ich ... Moment, ich muss erstmal ... Warten Sie kurz!« Er überschlug sich fast, wusste nicht, ob er zuerst aussteigen, sich abschnallen oder parken sollte. Irgendwie schaffte er es dann doch, alles in die richtige Reihenfolge zu sortieren, ohne sich dabei selbst zu erhängen. Selbstbewusster scheinen wollend, als er eigentlich war, kam er auf uns zu. »So ein Zufall, ich fahre auch mit dem Zug nach Köln!« Er strahlte und strich sich eine Strähne seines blonden Haares aus dem Gesicht. Schade, dass er sie so mit Gel zugekleistert hatte, aber es passte zum Rest seines Outfits. Ein typischer Bürofutzi eben, in feinen Zwirn gehüllt. »Ja, das ist tatsächlich ein Zufall. Sogar ein Glücksfall, würde ich behaupten.« Ich klimperte noch einmal mit meinen Wimpern und und drückte ihm gleich den schwersten Koffer in die Hand. Zu fünft schleppten wir das Gepäck durch die Unterführung die Stufen hinunter und an der anderen Seite wieder hoch. Der Bürofutzi stellte sich gar nicht so dumm dabei an, stellte ich aus den Augenwinkeln heraus fest. Trotzdem glich es einem Wunder, dass er nicht stolperte, da er mich immer noch anstarrte, als sei ich eines der Weltwunder. Nach drei Minuten kamen wir nassgeschwitzt auf Gleis zwei an. Es war furchtbar heiß, und ich konnte von Glück sagen, dass ich mich heute Morgen für die Jeans-Hotpants und das weiße Top entschieden hatte. »Da kommt der Zug schon!«, rief Anna. Wir alle strengten unsere Augen an und erkannten einen winzigen Punkt in weiter Ferne, der sich auf den Bahnsteig zubewegte. »Wo soll es denn hingehen?«, fragte der Bürofutzi. »In den Urlaub. In einen kleinen Ort in Schleswig-Holstein«, antwortete Sunny. »Oh, ans Meer!« Wenn er mich weiter so unverhohlen anglotzte, fielen ihm noch die hübschen Augen aus dem Kopf. »Und Sie?«, fragte Sunny. Das tat sie nur der Höflichkeit halber, eigentlich interessierte das meine Freundin null. Dafür kannte ich sie zu gut. Mich interessierte das schon, und so war ich ihr im Stillen dankbar. Nicht, dass hier noch irgendeiner auf die Idee kam, der geschniegelte Bürofutzi könnte mir ein bisschen gefallen. »Ich? Nein, leider nicht ans Meer. Ich muss nur nach Köln. Ich arbeite dort. Ich bin Makler von Beruf. »Wie interessant!«, sagte ich. Das meinte ich sogar ein bisschen ernst. Einen Makler hatte ich bisher noch nicht gehabt. Der Zug kam mit laut quietschenden Bremsen neben uns zum Stehen. Wieder griffen wir alle nach den Massen an Gepäck und schleppten diese in den Zug. Die Schwestern sicherten sich zwei gegenüberliegende Bankreihen rechts vom Gang, und alles an Gepäck, was nicht in die Gepäckablage darüber passte, stapelten wir auf den freien Sitz neben Sunny. Ich drückte Helen und Anna. »Seid schön artig, ihr beiden.« Helen verdrehte die Augen und Anna sagte: »Ich bin immer lieb.« Zum Schluss nahm ich meine süße Sunny in den Arm. »Und von dir erwarte ich genau das Gegenteil. Lass mal die Sau raus. Das hast du verdammt nötig.« Der Bürofutzi, der in der Bank links vom Gang neben Sunny saß, war die Kinnlade runtergeklappt. Spontan ging mir durch den Kopf, dass es ihm guttun würde, mal ein bisschen lockerer zu werden. Das war ja nicht mit anzusehen, wie verkrampft er war. Und auch, dass ihm diese verkrampfte Haltung selbst ein bisschen störte. »Danke fürs Herfahren, Chrissie«, sagte Sunny. »Und nur zu deiner Information: Ich werde genauso brav sein wie meine kleinen Schwestern.« Helen und Anna sahen sich an und brachen fast gleichzeitig in prustendes Gelächter aus. »Was ist daran so lustig?«, fragte Sunny empört. »Nichts!«, beteuerten die beiden wie aus einem Mund. Manchmal war Sunny doch zu naiv. »Ich glaube, die beiden wollten dir damit auf versteckte Art und Weise mitteilen, dass sie nicht daran denken, brav zu sein«, klärte ich sie auf. »Und von dir wisen sie genau, dass du dich eh nichts trauen wirst. So, nun muss ich aber gehen. Schönen Urlaub, ihr Lieben!« Ich schaffte es gerade noch, den Zug zu verlassen, bevor er anfuhr. Die drei Mädels winkten mir aus dem Fenster heraus zu, und dann machte der Zug sich auch schon auf in Richtung Köln. Ich lief zurück zum Park and Ride Parkplatz hinter dem Bahnhof. Es war punkt neun Uhr morgens an einem wundervollen Sommertag. Obwohl ich mir unter den gegebenen Umständen schöneres vorstellen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich direkt auf den Weg zur Arbeit zu machen. Ich beneidete die Dahlke-Schwestern ein wenig, aber ich gönnte ihnen diesen Urlaub auch von Herzen. Die drei, ganz besonders Sunny, hatten es nicht leicht. Als ich an meinem Autochen ankam, fiel mir ein paar Parktaschen weiter die Nobelkarosse vom Bürofutzi auf. Kurz überlegte ich, meine Handynummer auf einen Zettel zu kritzeln, um diesen dann unter die Scheibenwischer zu klemmen, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Es war zwar schade um die veilchenblauen Augen, aber ich hatte gerade auch wenig Lust auf eine Beziehung. Ich mochte mein unkompliziertes Single-Leben, und bei ihm hatte ich das dumpfe Gefühl, dass er kein Typ für nur eine Nacht war. Das Leckerchen hatte bereits seit fünf Minuten geöffnet, als ich mein Autochen auf dem dazugehörigen Parkplatz abstellte. »Morgen, Karl-Heinz!«, rief ich, während ich durch die Ladentür trat. Das Glöckchen über mir bimmelte zuverlässig. »Morgen, Mädchen!«, rief mein alternder Chef gedämpft von irgendwoher. Dem Klang nach zu urteilen, befand er sich im Lager. »Kaffee?«, fragte ich, bevor ich die Teeküche hinter der Ladentheke betrat. Wie ich ihn kannte, war er noch nicht dazu gekommen, welchen zu kochen. »Das wäre lieb, Mädchen.« Ich legte meine Handtasche auf einen der Stühle und machte mich an der Kaffeemaschine zu schaffen. So schade es auch war, dass ich den Tag nicht anderweitig nutzen konnte, arbeitete ich gerne im Futtershop von Karl-Heinz Budenbrett. Der Laden war klein und gemütlich, wir hatten unsere Stammkunden und kamen bestens miteinander aus. Es gab sicher unangenehmere Arten, sein Geld zu verdienen. Nachdem ich die Kaffeemaschine ans Laufen gebracht hatte, öffnete ich die Ladentür weit, stellte sie mit einem Keil am Boden fest und schob die vier Angebotsständer nach draußen. »Chrissie-Kind!«, hörte ich eine wohlbekannte Stimme. Ich hielt meine Hand zum Schutz vor der Sonne vor meine Stirn, um ausmachen zu können, von woher mein Name gerufen worden war. Ich brauchte nicht lange, um die besagte Person zu entdecken, die aus Richtung des Supermarktes auf mich zukam. »Hallo, Oma Lene«, sagte ich, als sie bei mir ankam und mich drückte. Sie war ein wenig außer Atem, aber das war bei der Hitze ja auch nicht weiter verwunderlich. »Warst du schon einkaufen?«, fragte ich und deutete auf die beiden Stofftaschen, die sie mit sich trug. »Ja, das wird mir später sonst zu warm.« »Soll ich dir helfen, sie zum Auto zu bringen?« Oma Lene parkte grundsätzlich in einer weit von den hier angesiedelten Läden entfernten Parktasche auf dem großen Gemeinschafts-Parkplatz, weil da erfahrungsgemäß die wenigsten Autos standen und ihr das Ein- und Ausparken mit viel Platz leichter fiel. Mein Onkel Cornelius neckte sie deswegen immer, da könne sie ja gleich zu Fuß einkaufen gehen, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Sie seufzte. »Ich habe wieder viel zu viel eingekauft, dabei brauchte ich doch nur ein paar Sachen.« Ich nahm ihr beide Taschen ab. »Karl-Heinz? Ich helfe meiner Oma gerade mit ihrem Einkauf!«, rief ich hinter mich in den Laden.